Mit Blick auf die Wahl zum Europäischen Parlament im Mai 2019 veröffentlichen wir, die 2006 gegründete "Initiative Christen für Europa" (IXE), die sich für das europäische Projekt aus christlicher Sicht engagiert, diesen gemeinsamen Appell. Unser Aufruf richtet sich nicht nur an Politikerinnen und Politiker, sondern an alle Bürgerinnen und Bürger. Er möchte die Wählerinnen und Wähler, insbesondere junge Menschen, mobilisieren, da eine geringe Wahlbeteiligung eine ernsthafte Bedrohung für eine echte europäische Demokratie darstellt.
"Die Zeit ist gekommen, gemeinsam das Europa aufzubauen, das sich nicht um die Wirtschaft dreht, sondern um die Heiligkeit der menschlichen Person, der unveräußerlichen Werte." (Papst Franziskus, 1)
Auf siebzig Jahren Frieden und der schrittweisen Entwicklung eines gemeinsamen wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmens aufbauend bleibt Europa ein Raum der Hoffnung. Dennoch zeigen die derzeitigen sehr ernsten politischen Turbulenzen in mehreren Ländern, wie sehr sich die Europäerinnen und Europäer von wachsenden Ungleichheiten, sozialer Ausgrenzung, einigen Faktoren wirtschaftlicher Migration und den Auswirkungen der wirtschaftlichen und kulturellen Globalisierung betroffen fühlen. Sie fühlen sich auch durch den Terrorismus im eigenen Land, aggressive Strategien einiger Weltmächte und das steigende Risiko bewaffneter Konflikte bedroht. Nationalistische und populistische Tendenzen gefährden die Demokratie und schwächen die unerlässliche Beachtung der Rechtsstaatlichkeit. In Debatten, in denen unsere gemeinsame europäische Identität in Frage gestellt wird oder in welchen der christliche Glaube für parteiische Zwecke instrumentalisiert wird, werden wir das europäische Projekt als Ausdruck unserer gemeinsamen Hoffnung verteidigen.
In der aktuellen geopolitischen Situation kann und muss Europa seine Verantwortung wahrnehmen und seine vordringlichen Ziele umsetzen:
- Durch Solidarität die Verbindungen zwischen den Menschen und Völkern erneuern
"Ich träume von einem Europa, das die Rechte des Einzelnen fördert und schützt, ohne die Verpflichtungen gegenüber der Gemeinschaft außer Acht zu lassen." (Papst Franziskus, 2).
Unser gemeinsames europäisches Haus baut auf dem Grundsatz der Solidarität auf, der im Vertrag von Lissabon verankert ist. Solidarität ist eine effektive Antwort auf Ungleichheiten und auf Ängste, die sich aus der Globalisierung speisen. Die Politik der Europäischen Union muss neu ausgerichtet werden, um den Herausforderungen Rechnung zu tragen, vor denen wir undunsere Mitbürgerinnen und Mitbürger stehen. Hierfür sollte die Sozialpolitik gestärkt werden, um Ungleichheiten, Armut und Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Dies erfordert auch eine verantwortungsvolle Finanz- und Haushaltspolitik, die dem Europäischen Parlament und den nationalen Parlamenten Handlungsspielräume für eine nachhaltige Sozialpolitik lässt. Wenn wir diese Priorität entschlossen verfolgen, dann können wir auch die gestörte Beziehung zu Euroskeptikerinnen und -skeptikern wiederherstellen und antieuropäischen Diskurs bekämpfen.
- Sorge für unser gemeinsames Haus
"Ich träume von einem Europa, das sich um das Kind kümmert, das dem Armen brüderlich beisteht und ebenso dem, der Aufnahme suchend kommt, weil er nichts mehr hat und um Hilfe bittet. "(2).
Wir fordern ein schützendes Europa, das bereit ist, Verantwortung für den Frieden in der Welt zu übernehmen. Europa muss dafür kämpfen, dass die Ziele der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung (SDG) bis 2030 erreicht werden. Darüber hinaus ist die Umsetzung des Pariser Abkommens über den Klimawandel von 2015 auf nationaler und europäischer Ebene eine moralische und rechtliche Verpflichtung.
Dies setzt eine aktive Rolle in fairer Partnerschaft mit Nachbar- und Entwicklungsländern, besonders in Afrika, voraus.
Wir wissen, dass die Debatten über Asyl und Migration in ganz Europa schwierig und spaltend waren. Aber nur wenn wir als Europäerinnen und Europäer zusammenarbeiten, werden wir dauerhafte gemeinsame Lösungen finden, die wir benötigen, da wir die Kontrollen an unseren Binnengrenzen abgeschafft haben. Wir brauchen ein reformiertes europäisches Asylsystem, das auf Menschenrechten und Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten basiert. Wir sollten auch eine gerechte, humane Migrationspolitik entwickeln, welche die Bedürfnisse und begrenzten Möglichkeiten unserer Gesellschaften berücksichtigt. Das Europäische Parlament muss ein wichtiger Akteur bei der Reform unseres Rechtsrahmens sein. Als Christen in Europawerden wir zu einem vertrauensvollen und geschwisterlichen Dialog zu diesen Themen beitragen.
Ein Europa, das schützt, bedeutet auch eine engere Zusammenarbeit in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik, die zugleich die ethischen Herausforderungen der modernen Militärtechnologien und digitalen Bedrohungspotentiale ernst nimmt. Dies wird das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger stärken und die Verlässlichkeit Europas gegenüber seinen Partnern erhöhen.
- Subsidiarität, aus Respekt vor unserer Vielfalt
"Die europäische Identität ist und war immer eine dynamische und multikulturelle Identität."(2)
Vielfalt ist unser Reichtum und muss respektiert werden. In vielen gesellschaftspolitischen Fragen, wie z.B. bei bioethischen Regeln oder im Familienrecht, können unsere Länder unterschiedliche Entscheidungen treffen. Die Anerkennung und der Respekt vor unseren kulturellen Unterschieden tragen dazu bei, Ängste sowohl vor einem antireligiösen, säkularisierten Europa als auch vor einer Rückkehr von Religion als autoritärer Unterdrückungskraft zu zerstreuen. Wir vertreten ein anspruchsvolles Verständnis von Subsidiarität als Voraussetzung für echte Demokratie.
Die Europäische Union muss transparent sein und besser kommunizieren, um die von den Bürgerinnen und Bürgern wahrgenommene Distanz zu den EU-Institutionen zu überwinden.
Als Christen in Europa
- sind wir uns der ernsthaften Gefahren einer geringen Wahlbeteiligung und der Weigerung, sich an der gemeinsamen politischen Debatte zu beteiligen, bewusst. Wir fordern die EU-Bürgerinnen und -Bürger auf, zur Wahl zu gehen!
- wollen wir die derzeitigen Missverständnisse und Spannungen innerhalb der Europäischen Union überwinden, besonders zwischen Nord und Süd, Ost und West.
- glauben wir an eine Union, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt, ihre Bürgerinnen und Bürger schützt, das Subsidiaritätsprinzip respektiert und weltweit eine faire Partnerin ist.
- vertrauen wir auf die Zukunft eines geeinten und solidarischen Europas.
Wir sind entschlossen, die Hoffnung, die das gemeinsame europäische Projekt in sich trägt, mit neuem Leben zu füllen.
Gemeinsam ermutigen wir Christinnen und Christen in allen europäischen Ländern, an den Europawahlen teilzunehmen und unser gemeinsames europäisches Haus zu gestalten.
Wir laden die Ortskirchen, die anderen christlichen Organisationen sowie ihre Vertretungen auf europäischer Ebene ein, sich diesem Engagement für Europa anzuschließen.
Verabschiedet durch die folgenden Mitgliedsorganisationen von IXE im Februar 2019 in Mailand
Andante – Europäische Allianz katholischer Frauenorganisationen (EU)
Česká křesťanská akademie(Tschechische Christliche Akademie, Tschechien)
Commission Iustitia et Pax der Kroatischen Bischofskonferenz (Kroatien)
Centre for European Documentation and Research R. Schuman (Kroatien)
Europäisches Forum nationaler Laienkomitees (ELF, EU)
Fundacja Kultury Chrześcijańskiej ZNAK, (Christliche Kulturstiftung, Polen)
Institución Teresiana (Theresianische Institution, Spanien)
Jesuit European Social Centre, (JESC, EU)
Journées sociales de Luxembourg (Luxemburg)
Latvijas Kristīgā Akadēmija: Latvijas Kristīgā Akadēmija(Lettische Christliche Akademie, Lettland)
Semaines Sociales de France (SSF, Frankreich)
Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK, Deutschland)
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